Wenn alle, Patienten, Ärzte, Krankenkassen und die Öffentlichkeit ihre Chancen im Kampf gegen die Osteoporose rechtzeitig und konsequent nutzen würden, wären schwere Schicksale und hohe Kosten vermeidbar.

Wenn eine ältere Frau (und immer häufiger auch ältere Männer) mit kyphotisch verkrümmtem und verkürztem Oberkörper schmerzgeplagt vor uns steht, ist die Diagnose "Osteoporose" eindeutig … zu spät. Die Chancen, das Schicksal von Deformierung, chronischen Schmerzen und gehäuften Knochenbrüchen aufzuhalten, sind seit vielen Jahren versäumt worden. Der Anteil der nicht behandelten Osteoporose-Patienten liegt bei über 65 Prozent! Wie kann es dazu kommen, dass eine so offen sichtbare, offenkundig verkrüppelnde und die Lebensqualität stark beeinträchtigende Krankheit so spät und so selten behandelt wird? Liegt es daran, dass die Medikamente so teuer sind oder hat der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen hier versagt? Oder gehen die Patientinnen selbst wenig erschüttert mit der Diagnose um:

"Das hatte meine Mutter auch...
Witwenbuckel...
das ist eben das Alter."

Der therapeutisch entscheidende Endpunkt der Osteoporose ist die Fraktur von Wirbelkörper, Oberschenkel, Oberarm, Becken oder Handgelenk. Das ist bei allen Diskrepanzen zum Thema ein Fixpunkt.

130.000 Oberschenkelfrakturen pro Jahr, mit einer Todesrate von 20 Prozent und einer ebenfalls um 20 Prozent erhöhten Pflegeheimaufnahme im Folgejahr machen deutlich, wie schwerwiegend die Osteoporose verläuft. 220.000mal wird jährlich eine Wirbelkörperfraktur neu diagnostiziert, und nach der EVOS-Studie ("European Vertebral Osteoporosis Study") liegt die Dunkelziffer etwa doppelt so hoch. In dieser Studie waren von den Wirbelbrüchen zwei Drittel unbekannt. Und die Osteoporose wird parallel zur steigenden Lebenserwartung immer öfter auftreten und schwerer werden. Auch Männer sind häufiger betroffen und sie stellen ein Drittel der 6 Millionen Osteoporose-Patienten in Deutschland und 25 Prozent der Oberschenkelfrakturen.

Tabelle: Osteoporose-Risikofaktoren

  • Frühere Frakturen an typischer Stelle
  • Abnahme der Körpergröße > 4 cm
  • Längere Bettlägerigkeit, körperlich inaktive Lebensweise
  • Anhaltende Kraftminderung, Abbau von Kraft und Muskelmasse (Sarcopenie / Paresen)
  • Hohes Alter, weibliches Geschlecht
  • Familiäres Risiko
  • Langzeitmedikation mit Heparin, Marcumar, Antikonvulsiva, Cortison
  • Späte Menarche, frühe Menopause
  • Mangel an Geschlechtshormonen
  • Malabsorption
  • Chronische Niereninsuffizienz
  • Rheumatische Erkrankungen, entzündliche Darmerkrankungen (Morbus Crohn, Colitis ulcerosa)
  • Hohe Dosen Thyroxin, Hyperthyreose
  • Anorexia nervosa
  • Patienten nach Transplantation

Die Osteoporose ist eine chronische, lebenslange Erkrankung, durch familiäre Belastung gekennzeichnet, am Risikoprofil oft erkennbar und durch die Lebensführung beeinflussbar. Eine Krankheit mit solchen Merkmalen gehört in die Hände eines kompetenten Arztes. Das ärztliche Management der Osteoporose ist aber mit einer Reihe von Problemen verbunden, denn Definition, Diagnostik und Therapie der Osteoporose sind nicht einheitlich und auch nicht unstrittig unter den Experten.

Gesundheitspolitisch erinnert die Situation am ehesten an Schilda. Nach einem Schildbürgerstreich des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen wird die Knochendichtemessung von den gesetzlichen Krankenkassen erst bezahlt, wenn es bereits zu einer Osteoporose-bedingten Fraktur gekommen ist.* Die Messung der Knochendichte ist aber der einzige Weg, den Zustand und die Entwicklung der Knochen rechtzeitig zu beurteilen. Der Entschluss ist logisch, fachlich und ethisch falsch, schadet den Patient/Innen und ist ein Hindernis der Früherkennung.

Die Kontroversen in Sachen Osteoporose beginnen bereits bei der Definition. Die herrschende Lehrmeinung spricht von einer "generalisierten Stoffwechselerkrankung, einem Verlust an Knochenmasse und Veränderungen der Mikroarchitektur, die zu einer vermehrten Wahrscheinlichkeit von Frakturen führen. Man spricht allgemein von verminderter Knochenmineraldichte (bone mineral densitiy).

Demgegenüber sind folgende Punkte festzuhalten:

  • Vom Knochen-Material her betrachtet gibt es keinen Unterschied zwischen Osteoporose und gesundem Knochen. Osteoporose bedeutet schlicht und einfach zu wenig Knochen mit verminderter Festigkeit. Vermindert ist die räumliche Dichte der Knochenbälkchen (epiphysäre Trabekel), die verbliebenen bestehen jedoch aus normalem Knochenmaterial. Vermindert ist ebenfalls die Dicke der Schaftwand der Röhrenknochen. Es verändert sich also die gesamte Architektur der betroffenen Knochen, nicht nur die (epiphysären) Trabekel, die mit dem Ausdruck "Mikroarchitektur" gemeint sind.

  • Es verändern sich häufig nicht alle Abschnitte des Skelettes gleichmäßig. Die einzelnen Körperabschnitte Wirbelsäule, untere Extremitäten, obere Extremitäten können sehr unterschiedlich betroffen sein.

  • Osteoporotische Veränderung kommen regelhaft auch bei Stoffwechselgesunden durch komplette oder partielle Immobilisierung vor. Muskelschwächen und sportspezifische Knochenveränderungen sind ein Experiment der Natur, an dem das Wesen der Knochenanpassung erkannt werden kann. Die Verformung der Knochen durch die einwirkenden Muskelkräfte ist der bestimmende Faktor im Regelkreis der Knochenfestigkeit, und damit ist die Osteoporose primär kein metabolisches Problem.

Es gibt eine große Zahl alter Menschen mit normaler Knochenmasse und Knochenfestigkeit. Die so häufig dargestellte Abnahme des Mittelwertes sagt nichts über Einzelwerte. Wenn von 100 alten Menschen 50 alle Zähne verlieren und 50 andere keinen einzigen, beträgt der durchschnittliche Zahnverlust 16!

Zusammenfassend sei festgestellt, dass die Osteoporose keine nosologische Einheit ist, sondern ein Syndrom, das auf sehr unterschiedlichen pathogenetischen Wegen zustande kommt. Osteoporose bezeichnet einen Verlust an Knochenfestigkeit, der die Frakturgefahr signifikant erhöht.

Knochen festigen -
Stürze und ihre Folgen vermeiden

Osteoporose ist bei aller Dramatik kein unvermeidliches Schicksal im Alter. Sie lässt sich durch die Lebensführung positiv beeinflussen.

Dazu gehört eine knochenfreundliche Ernährung, die idealerweise schon in jungen Jahren begonnen werden sollte. Hinreichend bekannt ist dabei die Notwendigkeit der ausreichenden Calciumaufnahme, wobei ein Hinweis auf calciumreiche Mineralwässer nicht fehlen sollte.

Vitamin D spielt in der Entwicklung der Osteoporose eine zentrale Rolle. In den sonnenarmen Jahreszeiten (also Frühjahr, Herbst und Winter, aber auch in regenreichen Sommern) sollten in unseren Breitengraden Vitamin D täglich bei jeder Osteoporose und möglichst schon beim Osteoporose-Risiko substituiert werden. Wer ganz sicher gehen will, versorgt den Körper mit Kombinationspräparaten von 1000 mg Calcium und 1000 I.E. Vitamin D. Bei manifester Osteoporose sind diese Mittel nicht nur verschreibungsfähig, sondern bilden die Basistherapie bei der medikamentösen Behandlung mit Bisphosphonaten oder anderen potenten Wirkstoffen.

Ebenso wichtig bei der Vorbeugung und Behandlung der Osteoporose sind die richtigen knochenbildenden körperlichen Aktivitäten. Eindeutig nicht knochenaufbauend sind Ausdauersportarten, die bei entsprechender Übertreibung sogar knochengefährdend sind. Spazierengehen, Radfahren oder Schwimmen sind auch nicht knochenaufbauend, so wichtig und nützlich sie für das Herz-Kreislaufsystem sind. Allerdings fördern sie die Balance, was bei der Sturzvermeidung von großer Bedeutung ist. Knochenaufbauend sind allein Kraftspitzen, geeignete Aktivitäten folglich Krafttraining und jede mit Springen und Hüpfen verbundene Bewegung.

Überhaupt sind Stürze die wohl folgenschwersten Ereignisse im Zusammenhang mit Osteoporose.

Den Arm bricht man sich nicht beim Briefeschreiben und auch nicht den Oberschenkelhals. Osteoporotische Frakturen außerhalb der Wirbelsäule sind immer durch einen Sturz verursacht. Erst die Kombination aus erhöhter Sturzgefahr und verminderter Knochenfestigkeit ergibt das Frakturrisiko (außerhalb der Wirbelsäule). Deshalb gehört ein wissenschaftlich geprüftes Sturzrisiko-Assessment (z.B. Esslinger Sturzrisiko-Assessment entsprechend EBM-Nr. 03341) als integraler Bestandteil zur Osteoporose-Diagnostik.

Bei Sturzgefahr darf eine Aufklärung über Hüftprotektoren nicht fehlen. Sie können zwar einen Sturz nicht verhindern, aber die schlimmen Folgen vermeiden helfen. Der vom dänischen Unfallchirurgen J. Lauritzen entwickelte Hüftprotektor SAFEHIP® hat eine solide belegte und sofort greifende Wirksamkeit gegen Hüftfrakturen. Bei der Einnahme von sturzfördernden Medikamenten (z.B. Neuroleptica, tricyclische Antidepressiva, Antikonvulsiva, Benzodiazepine) sollte ebenfalls unbedingt ein Hüftprotektor getragen werden. Dieser Hüftschutz besteht aus zwei Kunststoffschalen, die über dem Hüftgelenk liegen. Zwischen Schale und Gelenk bleibt ein kleiner Zwischenraum, der jedoch groß genug ist, um bei einem Sturz nahezu die gesamte Aufprallenergie zu absorbieren und auf das umliegende Weichteilgewebe umzuleiten.

Die neuerdings entwickelten Osteoporose- Orthesen wirken über eine propriozeptive Stimulation der Rückenmuskulatur. Hierdurch kommt es zu einer unbewussten Aufrichtung des Rumpfes mit Streckung der Wirbelsäule und Entlastung der schmerzenden und gefährdeten Strukturen. Schmerzlinderung bedeutet hier auch eine Aktivitätsvermehrung mit Muskelkräftigung. Die Pelotten-Massage steigert die Durchblutung, der Knochenaufbau wird gefördert. Diese speziellen Osteoporose-Orthesen (z.B. Thämert® Osteomed oder Spinomed®, medi-Bayreuth) sind ein verheißungsvoller neuer Weg, der hohe Aufmerksamkeit verdient.

Die meisten Osteoporose-Patienten erfahren erst dann von ihrer Erkrankung, wenn es zu einem Knochenbruch gekommen ist. Je früher aber die Osteoporose behandelt wird, desto besser. Ein ganzheitlicher Behandlungsansatz mit ausgewogener Ernährung, adäquater Bewegung, Calcium und Vitamin D als Basisversorgung sowie medikamentös mit modernen Wirkstoffen (z.B. Bisphosphonaten) wirkt dem Knochenabbau entgegen, kann Schmerzen, Knochenbrüche und deren fatale Folgen vermeiden helfen.
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