Osteoporose. Sie ist unterschätzt, unterdiagnostiziert, untertherapiert - und dabei betrifft die Skeletterkrankung jede dritte Frau über 50! Die gute Nachricht: Es gibt viele Therapieansätze und man kann selbst einiges für starke Knochen tun.

Auf einmal waren sie da – und blieben: unerträgliche Rückenschmerzen. „Ich fühlte mich wie auf einem Höllentrip“, erinnert sich Rita Stichling. „Ich war damals gerade mal Ende 30, arbeitete als Lehrerin und konnte plötzlich keine 15 Minuten mehr stehen. Jedes Warten an der Supermarktkasse wurde zur Quälerei. 300 Meter am Stück laufen, eine Kiste heben – es ging gar nichts mehr!“ Mit 35 Jahren hatte sich die Thüringerin aus Wechmar wegen einer Endometriose, einer gutartigen Wucherung der Gebärmutterschleimhaut, zu einer Totaloperation entschieden. Was keiner ihrer Ärzte berücksichtigte: Der Östrogenabfall durch die dadurch vorzeitig einsetzenden Wechseljahre beschleunigte den Knochenabbau dramatisch. Vier Jahre nach dem Eingriff stellte ein gut informierter Hausarzt, der den anhaltenden Kreuzschmerzen auf den Grund gehen wollte, schließlich die Diagnose: Osteoporose.

Die Stoffwechselkrankheit wird auch als „stiller Dieb“ oder „leise Epidemie des 21. Jahrhunderts“ beschrieben. Leise, weil der brüchiger werdende Knochen selbst nicht wehtut und es keine Frühwarnsymptome gibt. Dieb, weil Osteoporose Knochenmasse raubt. Und epidemisch, weil sie laut WHO zu den zehn wichtigsten Volkskrankheiten zahlt. Allein 6 bis 8 Millionen Deutsche sind betroffen – darunter jede dritte Frau über 50! „Alarmierend ist, dass Osteoporose hierzulande immer noch eine unterschätzte, unterdiagnostizierte und untertherapierte Krankheit ist“, sagt Prof. Reiner Bartl, Leiter des Osteoporose-Zentrums in München und Verfasser von „Der große Patientenratgeber Osteoporose“ (Zuckerschwerdt). Nur 10 Prozent der Patienten werden leitliniengetreu nach den aktuellen Medizinstandards versorgt. Dabei muss man das Leiden nicht mehr schicksalshaft erdulden. Im Frühstadium ist es sogar heilbar. Wirksame Therapien stehen zur Verfugung. Und man kann selbst – vor allem präventiv, aber auch nach der Diagnose – viel tun, indem man seinen Lebensstil ändert.

Einmal niesen - und der Knochen bricht

Extrem heftige Rückenschmerzen sind wie bei Rita Stichling in der Regel der erste Hinweis auf Osteoporose; oft ist ein unerkannter Wirbelbruch die Ursache. Bei fortgeschrittenem Verlauf reicht manchmal schon das Heben einer Tasche, Niesen oder starkes Husten, um eine Fraktur auszulösen. Klar, dass Stürze fatal sein können. Besonders häufig betroffen sind der untere Rücken, die Hüfte und das Handgelenk.

Wie es so weit kommen kann? Unsere Knochen bestehen hauptsächlich aus den Mineralien Kalzium, Magnesium und Phosphat sowie aus Kollagen. Darin eingebettet sind Zellen, die den Knochen ständig erneuern: Osteoklasten bauen alte Knochensubstanz ab, Osteoblasten bilden neue. Während im Kindes- und Jugendalter vor allem die Osteoblasten aktiv sind – und wir zu dieser Zeit so einiges auf unserem „Knochenkonto“ anhäufen, kommt es mit etwa 30 dann zu einer Balance zwischen Knochen auf und Knochenabbau. Ab 40 überwiegt – auch bei Gesunden – der langsame Rückgang von Skelettmasse. Wer allerdings in jungen Jahren viel davon entwickelt hat, zehrt später davon. Die anderen bezahlen mit einem vorzeitigen Verlust an Knochensubstanz. Deren Struktur verändert sich. Sie wird porös – und dadurch brüchig.

Dünne Frauen, dünne Knochen

Osteoporose betrifft vor allem Frauen nach der Menopause. Je später der Wechsel einsetzt, desto weniger ist man demnach gefährdet. „Wir Osteologen freuen uns natürlich über eine Hormonersatztherapie in den Wechseljahren“, sagt Prof. Michael Amling, Direktor des Instituts für Osteologie und Biomechanik am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Denn mit Beginn des Klimakteriums und sinkendem Östrogen-spiegel verschlechtert sich die Knochendichte dramatisch, da dieses Hormon das Skelett vor dem Abbau schützt. „Bei den vielen Therapieoptionen, die wir heute haben, ist das aber noch lange kein Grund, Hormone zu verschreiben.“

Wie die Mutter, so die Tochter? Das ist was dran! Die Veranlagung zu schwachen Knochen steht außer Frage. „Wenn bei Vater oder Mutter eine Oberschenkelhalsfraktur auftrat, zeigt dies verlässlich ein erhöhtes genetisches Risiko für spätere Osteoporose-bedingte Knochenbrüche an“, sagt Prof. Bartl. Und noch ein anderer bekannter Spruch unter Medizinern ist richtig: Dünne Frauen, dünne Knochen. Alle großen Studien zeigen einen eindeutigen Zusammenhang zwischen niedrigem Körpergewicht (ein BMI von unter 20) und Osteoporose. Ein etwas höheres Gewicht erweist sich in diesem Fall also als effektiver Schutz.

Zudem gibt es eine Reihe weiterer Risikofaktoren, die auch in unserem Check-up auf der rechten Seite zusammengefasst sind. Dazu zählen Rauchen, Krankheiten wie Diabetes, Morbus Crohn oder Rheuma, die auf die Knochen gehen, sowie bestimmte Medikamente – u. a. Magensäureblocker. „Den Zusammenhang zwischen Magensäure und Osteoporose hat man lange nicht erkannt“, sagt Prof. Amling. Wir brauchen die Säure, um Kalzium aus der Nahrung aufzunehmen. Wird die Produktion gehemmt, zieht der Körper das Mineral aus den Knochen, er benutzt sie quasi als Reservoir, da der Kalziumspiegel im Blut immer konstant sein muss. „Wer diese Mittel nimmt, und das sind immerhin 10 Prozent der Deutschen, steigert sein Frakturrisiko um den Faktor sechs“, sagt der Experte. Man sollte also mit seinem Arzt besprechen, ob es alternative Behandlungsmöglichkeiten gibt.

Der beste Schutz: trainierte Muskeln

„Jeder ist seines Skelettes Schmied!“ So die Devise von Prof. Bartl. Doch wie soll das funktionieren? Schließlich liegen unsere Knochen ja tief im Verborgenen. Bewegung, Bewegung, Bewegung! Das ist die effektivste Osteoporose-Therapie. Was regelmäßiges Training – natürlich angepasst an den Grad der Erkrankung – bewirken kann, hat Rita Stichling am eigenen Leib erfahren. Die 62-Jährige setzt auf 10 Minuten intensive, isometrische Übungen täglich und ein wöchentliches Funktionstraining von 45 Minuten – entwickelt speziell für Osteoporose-Betroffene. „Die Muskulatur, die ich dadurch aufgebaut habe, ist mein wichtigster Schutz“, sagt sie.

Nur auf Kraft zu setzen, wie man früher dachte, reicht nicht aus, weiß Ricarda Krusemark-Rasch. Die staatlich geprüfte Sport- und Gymnastiklehrerin aus München, die sich auf Osteoporose spezialisiert hat (forumstarkeknochen.de) empfiehlt zwei- bis dreimal die Woche eine Stunde lang verschiedene Bereiche zu trainieren. „Ein starker Muskel ist wichtig, aber es bedeutet eben auch, dass er oft verkürzt ist, daher ist Dehnen essenziell“, sagt die Expertin. „Zudem sind durch die veränderte Körperhaltung, die Muskeln komplett verspannt.“ Koordinationstraining wiederum, zum Beispiel für eine gute Balance, kann helfen, Stürze und damit Knochen-brüche zu vermeiden. „Einer meiner Leitsätze heißt: Rumpfkraft geht vor Extremitätenkraft. Die Körpermitte ist das zentrale Thema. Ist sie stabil, verschwinden die Kreuz-schmerzen oft.“ Mit 15 Minuten täglich, u. a. Bauchmuskel-übungen, spüren viele eine deutliche Besserung.

Kalzium - aber bitte nicht als Tablette

„Bis 2009 war die Standardtherapie der Osteologen, allen Patienten Kombi-Präparate aus Kalzium und Vitamin D zu verschreiben“, sagt Prof. Amling. Das hat sich inzwischen komplett geändert, nachdem Studien nachweisen konnten, dass die Einnahme von Kalziumpräparaten mit einem erhöhten Herzinfarktrisiko einhergeht. „Heute geben wir Kalzium nur noch Patienten, die unter Essstörungen leiden oder die Magensäureblocker benötigen – und zwar in Form von Glukonat statt Carbonat. In diesen Fällen besteht auch kein erhöhtes cardio-vaskuläres Risiko.“ Er rät definitiv davon ab, auf eigene Faust Kalziumpräparate aus Drogerie oder Apotheke zu schlucken.

Vitamin D ist entscheidend für unsere Knochengesundheit, da es die Aufnahme von Kalzium aus dem Magen-Darm-Trakt sowie die Härtung des Knochens fördert. „In Deutschland herrscht ein flächendeckender Vitamin-D-Mangel“, erklärt Prof. Amling. Seit Kurzem empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Ernährung, täglich mindestens 800 I. E. (Internationale Einheiten) einzunehmen, sommers wie winters, da der Bedarf über die Ernährung nicht zu decken ist. „Die genaue Dosis wird im Arztgespräch – nach einem Bluttest über den Vitamin-D-Status – festgelegt“, so Prof. Amling. „Ich gehe davon aus, dass man sich jährlich 27 000 Schenkelhals-frakturen sparen könnte, wenn jeder täglich 1000 I.E. Vitamin D zu sich nehmen würde.“ Prof. Bartl empfiehlt bei einem erhöhten Risiko für Osteoporose (siehe Check-up) sogar 2000 I.E. pro Tag.

Gutes Team: Milch und Mineralwasser

Geht’s um Osteoporose-Prophylaxe, ist Dr. Google kein verlässlicher Ratgeber. Ob Milch nun starke Knochen macht (wie jahrzehntelang behauptet) oder womöglich das Gegenteil der Fall ist – darüber kursieren dort allerlei Mythen. Prof. Bartl sieht das so: „Milchprodukte sind eindeutig positiv, da sie eine sehr gute Kalziumquelle darstellen.“ Und wenn man eine Unverträglichkeit hat oder vegan lebt? Es ist problemlos zu schaffen, sich ohne Zusatzpräparate ausreichend mit dem Mineral zu versorgen (siehe auch Kasten unten). Am einfachsten erreichen Sie die tägliche Dosis der empfohlenen 1000 bis 1500 mg durch kalziumreiches Mineralwasser. Schauen Sie sich dafür die Zusammensetzung an: Manches Wasser erreicht einen Wert von mindestens 350 mg pro Flasche – mit dreien ist man da bereits auf der sicheren Seite. „Übrigens gibt es keine Studien, die ein erhöhtes Risiko für das Herz durch kalziumreiche Nahrung belegen“, sagt Prof. Amling. „Die Gefahr bei den Tabletten entsteht wohl durch die (zu) schnelle und hohe Kalzium-Aufnahme ins Blut.“

Medikamente von heute und morgen

Nachdem Rita Stichling den Grund ihrer Schmerzen kannte, wurde sie mit Calcitonin behandelt, in den 90ern wurde das den Knochenabbau bremsende Mittel als Spritze verabreicht. „Ich hielt es nur drei Monate aus, die Nebenwirkungen waren enorm, reichten von Schüttelfrost bis Erbrechen“, erzählt sie und erinnert sich, wie sie bei 35 Grad auf der Terrasse saß und unter einer Decke schlotterte. Nach verschiedenen anderen Medikamenten reicht ihr heute die Basistherapie aus kalziumreicher Ernährung, Vitamin D, und Bewegung, um ihre Werte stabil zu halten.

Ein großes Problem bei der Osteoporose-Therapie: Viele Patienten brechen die Medikamenteneinnahme zu früh ab – wegen der Nebenwirkungen (vor allem bei älteren Präparaten) oder weil sie keine schnellen Erfolge sehen. Dabei ist eine Dauer von drei bis fünf Jahren optimal. „Man muss Geduld haben“, sagt Prof. Bartl. „Der Knochen braucht Zeit, um wieder eine positive Bilanz zu erreichen.“

Heute gibt es unterschiedliche Therapiekonzepte. Die meisten Medikamente auf dem Markt sollen den Knochenabbau hemmen. Weit verbreitet und relativ nebenwirkungsarm ist dabei die Gruppe der Bisphosphonate (u. a. Ibandronat, Pamidronat). Manche davon werden als Tablette eingenommen, andere gespritzt, bei Zoledronat etwa reicht einmal im Jahr eine 30-minütige Infusion. Indirekt wirkt der Antikörper Denosumab, der alle sechs Monate unter die Haut gespritzt wird und sich an bestimmte Moleküle heftet und dort wie eine Art Bremsklotz fungiert, indem er die Aktivität und Bildung der Osteoklasten hemmt. Zugelassen ist das Mittel für Frauen in und nach der Menopause. Raloxifen wird Frauen zwischen 40 und 60 verschrieben, die früh in den Wechsel gekommen sind – ab 60 Jahren aufgrund des erhöhten Thromboserisikos allerdings nicht mehr. Es wirkt am Knochen wie ein Östrogen und verbessert die Knochendichte, hat aber an Brust und Gebärmutter keine östrogene Wirkung und somit auch kein erhöhtes Tumorrisiko.

Keines dieser Medikamente kann allerdings weitere Brüche verhindern, da sich zwar die Dichte bessert, aber kein wirklich neuer Knochen bildet. Denn der Aufbau ist mit dem Abbau gekoppelt, ein Aufhalten des Abbaus stoppt gleichzeitig den Aufbau – und andersherum. Das soll ein neues, nachhaltiges Medikament ändern, das sich in einer Zulassungsstudie mit 16 000 Patienten befindet. „Sein Wirkstoff Odanacatib blockiert ausschließlich ein bestimmtes Enzym – das Cathepsin K –, mit dessen Hilfe Osteoklasten die Knochen abbauen“, erläutert Prof. Amling. So können die Osteoklasten weiter die Osteoblasten zur Arbeit anregen. Es kommt zu verstärkter Knochenbildung bei weniger Knochenverlust. „Das wäre ein spektakulärer Fortschritt“, sagt der Experte. Das erste Medikament mit diesem Wirkprinzip könnte bereits 2016 zugelassen werden.

Ein Blick ins Innere des Körpers

Wie stabil sind die Knochen? Das zeigt die DXA-Methode, die per Energiestrahlung an der Lendenwirbelsäule und Hüfte den Mineralgehalt des Knochens errechnet. Bei einem Wert ≤ -2,5 spricht man von Osteoporose, der Normalwert liegt über -1. Den Wert dazwischen bezeichnet man als Osteopenie – ein gering ausgeprägter Knochenschwund, bei dem aber die Struktur des Knochens (noch) nicht zerstört ist. Rita Stichling lässt nun schon seit Langem einmal jährlich ihre Knochendichte bestimmen – anfangs lag sie bei -2,9, jetzt stabil bei -2,5. Die Messung kostet ca. 50 Euro und wird von den Kassen leider nur übernommen, wenn es schon zu Frakturen gekommen ist. Prof Bartl: „Im Rahmen eines Screenings Informationen über Stärke oder Schwäche unserer Knochen zu gewinnen, sollte ebenso selbstverständlich sein wie die Krebsvorsorge.“ In großen Städten wie Hamburg, Berlin, München gibt es auch die Möglichkeit einer virtuellen Biopsie mittels eines extrem hochauflösenden CT-Verfahrens, das die Knochen-Architekur genau darstellt und eine individuellere Behandlung ermöglicht.

Glück stärkt unsere Knochen

Akut oder chronisch – fast alle Betroffenen kennen das Ziehen, Stechen, Brennen, das durch die Frakturen, einseitige Schonhaltungen oder einen krummen, schwachen Rücken kommt. „Damit muss sich heute niemand abfinden“, sagt Prof. Bartl. „Chronische Schmerzen entstehen meistens dadurch, dass sich die Muskeln zusammenziehen – hier können Osteopathie und Physiotherapie Linderung bringen.“ Rita Stichling hat gelernt, mit den Schmerzen zu leben. „Wenn’s zu schlimm ist, nehme ich Tabletten. Aber was mir mehr hilft, ist, mich auf andere Dinge zu fokussieren“. Sie hat neue Schwerpunkte gesetzt, gründete eine Osteoporose- Selbsthilfegruppe, den Landesverband Thüringen, rief Trainingsgruppen ins Leben, berät Patienten und Angehörige. Sie tut genau das, was ihr damals gefehlt hat. Die Diagnose hat ihr ganzes Leben verändert, sie musste sogar ihren Beruf aufgeben. „Ich fühlte mich anfangs total allein gelassen. Auch das Arzt- Patienten-Verhältnis war anders als heute, keiner ging auf meine Situation richtig ein“, erzählt sie. „Die ganzen Einschränkungen, dazu die andauernden Schmerzen, ich war psychisch total von der Rolle, musste schließlich sogar Medikamente gegen Depressionen nehmen, um da rauszukommen.“

Erst seit Kurzem steht auch der Zusammenhang zwischen seelischer Verfassung und Entstehung von Osteoporose im Fokus der Wissenschaftler. Studien zeigten, dass Frauen mit schwerer Depression 6 Prozent weniger Knochenmasse aufweisen als die Vergleichsgruppe. „Der Knochen wird vom Kopf beziehungsweise vom zentralen Nervensystem gesteuert“, sagt Prof. Bartl. Ein Beispiel ist das im Gehirn produzierte Hormon Leptin, das sowohl das Fett- als auch das Knochen-gewebe beeinflusst. „Eine Ursache für die Verbindung von Depression und Osteoporose ist meines Erachtens aber auch die Inaktivität und Antriebslosigkeit depressiver Patienten“, so der Experte. Viele Leute haben ein falsches Bild unseres Skeletts im Kopf: Es ist nicht passiv, sondern wird immer wieder umgebaut. Wenn man ein aktiver, fröhlicher Mensch ist, wirkt sich das also direkt auf unsere Knochengesundheit aus.