Stürze treten im Alter sehr häufig auf - mit schwerwiegenden Folgen. Zusammen mit Osteoporose führen sie zu einem starken Anstieg der Knochenbruchhäufigkeit. Ca. 30 Prozent der über 65-jährigen stürzen ein- oder mehrmals pro Jahr.

Mehr als 90 Prozent der Oberschenkelhalsfrakturen (ca. 130.000 pro Jahr) und eine ähnlich hohe Zahl von Frakturen im Bereich Oberarm, Unterarm und Becken entstehen im Zusammenhang mit einem Sturz. Ein alters- typischer Sturz ereignet sich bei alltagsüblichen Aktivitäten, in gewohnter Umgebung, ohne Bewusstseinsverlust oder Wahrnehmungsveränderungen und ohne Krafteinwirkung von außen. Ein Knochenbruch ereignet sich, wenn die einwirkenden Kräfte (beim Sturz aus dem Stand 4000 - 12000 N) die Knochenfestigkeit übersteigen. Zu sturzbedingen Frakturen kommt es nicht zufällig nur bei älteren Menschen, sondern sie passieren den Menschen mit einem besonders hohen Risiko. Methodisch akzeptable Untersuchungen haben folgende Merkmale als unabhängige Risikofaktoren für einen Sturz aufgezeigt:

  • eingeschränkte Muskelleistungen beim Aufstehen
  • verminderte Kontrolle der Balance
  • verminderte Sehstärke, reduzierter Blickwinkel
  • Einnahme von mehr als vier verordneten Medikamenten
  • bestimmte Medikamente (z.B. Benzodiazepine, Antidepressiva / Tricyclica, Neuroleptica, Antikonvulsiva)
  • Störungen der kognitiven Fähigkeiten (die Wahrnehmung betreffend)

Mit bestimmten Tests lässt sich die Wahrscheinlichkeit vorhersagen, ob jemand (in den kommenden vier Jahren) ein großes Sturzrisiko aufweist. Dabei haben sich vor allem der Tandemtest und der Aufstehtest bewährt: 5mal aufstehen und hinsetzen. Wer länger als 10 Sekunden dafür benötigt, hat ein erhöhtes Sturzrisiko. Daraus ergibt sich, dass die Muskelleistung beim Aufstehen und die Balance zur Seite vorrangige Ziele bei der Prävention und Therapie sind.

Leider werden auch von den Fachleuten die physikalischen Begriffe zur Beschreibung von Bewegungen nicht korrekt verwendet. Die Differenzierung von Kraft und Leistung ist aber bei der Therapie von entscheidender Bedeutung. Wenn eine Kombination von Osteoporose und Sturzneigung vorliegt, ist das Risiko für einen Knochenbruch beim älteren Patienten hoch. Dieser "explosiven" Mischung vorzubeugen, bzw. sie zu behandeln besteht darin, die Knochen zu festigen und einen möglichen Sturz zu verhindern. Die Mediziner sprechen hier von Sturzrisiko-Assessment mit den folgenden Zielsetzungen:

  • Identifizierung von Sturzpatienten: Welche individuellen Risikofaktoren liegen vor?
  • Quantifizierung der individuellen Sturzgefahren: Wie viele gibt es und wie stark ausgeprägt sind sie?
  • Planung der Therapie: Welche Funktionen müssen behandelt werden?
  • Therapiebewertung: Was hat die Therapie bisher erreicht?

Auch die neue ärztliche Gebührenordnung hat die Bedeutung der Sturzrisikodiagnostik und der rationalen Sturzprävention erkannt und in das hausärztlich- geriatrische Basis-Assessment aufgenommen. Besonders das hier vorgestellte Esslinger Sturzrisiko-Assessment wird dabei als geeignetes Verfahren namentlich genannt.

Verbesserung der Muskelfunktion

Aufbauend auf einer genauen Bewertung der Sturzrisikofaktoren ist eine sinnvolle Planung zur Senkung der Sturz- und damit der Frakturhäufigkeit möglich. Das Sturzrisiko-Assessment sagt aus, welche Funktion beim individuellen Patienten behandelt und trainiert werden müssen. Die Behandlung richtet sich dabei nach dem individuellen Risikoprofil der Patienten. Dabei kommen motorisch-funktionelle Verfahren zur Verbesserung der Muskelfunktion und Haltungskontrolle zur Anwendung wie z.B. Tai- Chi, Training von Kraft und Balance und die vibratorische Muskelstimulation. Aus den neuen Analysemöglichkeiten der Bewegung mit dem Leonardo-System ergibt sich zunehmend die Bedeutung der elastischen Energiespeicherung für schnelle Bewegungen. Gerade hier bieten sich große therapeutische Chancen, wenn der Erhalt und die Wiederherstellung der Elastizität ihre angemessene Bedeutung finden.

Hüftprotektoren

Ein sofortiger Schutz vor sturzbedingten Hüftfrakturen ist mit dem von Professor Lauritzen aus Kopenhagen entwickelten Hüftprotektor möglich. Zwei dünne elastische, aber stoßfeste Kunststoffschalen werden in einer Fixierungs-Unterhose direkt seitlich über dem großen Rollhügel im Bereich des Hüftgelenks getragen. Sie verhindern effizient Hüftfrakturen durch eine Ableitung der deformierenden Kräfte, die bei einem alterstypischen Sturz auftreten, in das umgebende Weichteilgewebe. Untersuchungen haben ergeben, dass über 60 Prozent der Oberschenkelhalsbrüche durch das Tragen von Hüftprotektoren zu vermeiden gewesen wären, was alleine in Deutschland jedes Jahr ca. 78.000 Hüftfrakturen weniger bedeuten würde.

Vitamin D

Neben der Vermeidung oder Reduzierung sturzfördernder Medikamente (Neuroleptica, Benzodiazepine oder Antidepressiva) ergeben sich auch aus dem Vitamin-D-Stoffwechsel gute Behandlungsmöglichkeiten. Schon länger bekannt und erforscht ist die Verbindung zwischen Sturzneigung und Vitamin-D-Mangel sowie der Behandlung mittels Vitamin-D-Substitution. Besonders geeignet sind dabei so genannte Kombinationspräparate, die Calcium und Vitamin D in optimaler Wirkstoffmenge verbinden (z.B. 1000 mg Calcium, 1000 I.E. Vitamin-D).

Besseres Sehen

Die Verbesserung der Sehschärfe oder von Einschränkungen des Blickwinkels sind ein weiteres Feld sturzsenkender Interventionen. Hier sollte ein Augenarzt hinzugezogen werden, der über eine eventuelle Operation (Grauer und Grüner Star) oder eine Laser-Behandlung bei Netzhautblutungen, aber auch eine Brillenanpassung und Brillenhandhabung entscheiden kann.

Beseitigung von Stolperfallen

Die Beseitigung von so genannten Stolperfallen ist bei sturzgefährdeten Menschen zwar sinnvoll, aber eigentlich nur ein begleitender Ansatz, da die Sturzursachen im "Inneren" des Patienten liegen. Sturzpatienten haben in der Regel nicht mehr Stolperfallen in ihrer Wohnung als "normale" Menschen, so dass die Beseitigung keine wirkliche Sturzreduktion bringt, denn sie stürzen auch in einer optimierten Umgebung.

Sturzvorbeugung: Bewegung

In der Altersgruppe der über 85-jährigen können bei den Männern 23 Prozent und bei den Frauen sogar 43 Prozent nicht mehr alleine Treppen steigen. Der Verlust der Bewegungsfähigkeit, von Muskeln und Knochen, betrifft die meisten älteren Menschen. Eine Studie zum präventiven Gesundheitstraining mit 70 Pensionären von Daimler Chrysler und deren Ehefrauen untersuchte, mit welchen Methoden und welcher Dosierung die motorischen Fähigkeiten verbessert werden können, auf die es im Alter ankommt. Dabei hat sich herausgestellt, dass kein anderes Körperorgan bis ins höchste Alter so gut trainierbar ist wie der Muskel und dessen Aktivität wiederum hat Einfluss auf die Knochenqualität.

Art der Bewegung entscheidet

Wie für jedes Heilmittel gilt auch hier, dass die Art der "Verabreichung" und die "Dosis" entscheidend sind. Es gibt kein Organ, das mit Sport nicht auch kaputt gemacht werden kann, wie die ausgemergelten Marathon-Alterssportler bei jedem Volkslauf eindrucksvoll demonstrieren. Es gibt verschiedene Arten von Bewegung und nicht jede baut Muskeln und Knochen auf. Der Ausdauersport hat höchst positive Wirkungen auf Herz und Kreislauf, trägt aber nichts oder nur verschwindend wenig dazu bei, dass wir die letzten Lebensjahre nicht im Bett oder Rollstuhl verbringen. Zur Stimulation von Knochenfestigkeit benötigen wir Kraftspitzen, zur Sturzvermeidung Leistung (= Produkt aus Kraft und Geschwindigkeit).

Wie verbessert man die Muskelleistung?

Das in der Berliner BedRest-Studie erfolgreiche Training hat sich auch in der Gerontologie bewährt. Mit zweimal 9 Minuten pro Woche (!) Training haben die Senioren der DaimlerChrysler-Gruppe ihre Muskelleistung in drei Monaten um gut 20 Prozent verbessert, d.h. für jeweils 10 Minuten Training ein Prozent Verbesserung! Die Kontrollgruppe benötigte für einen ähnlichen Effekt die 20fache Zeit. In derselben Untersuchung wurde auch die seitliche Balance trainiert und auch diese im Alter kritische Schlüsselleistung ist effektiv trainierbar. Alle fünf Fitnesskomponenten spielen dabei eine gleichwertige Rolle:

  • 1. Kraftspitzen = Erhalt der Muskelmasse
  • 2. Kraft x Geschwindigkeit = Muskelleistung. Das ist die Kenngröße des Alterungsprozesses, die Größe, die sich am stärksten und am regelmäßigsten mit zunehmendem Alter vermindert.
  • 3. Elastizität: Der Erhalt der Dehnbarkeit ist eine mechanische Voraussetzung für schnelle Bewegung mit hoher Leistung.
  • 4. Balance/Koordination: Kritische Fähigkeit ist hier die Koordination der Körperhaltung zur Seite.
  • 5. Ausdauer: Wirkungen und Bedeutung sind bekannt.

Diese fünf Komponenten der Bewegung erfordern ein jeweils unterschiedliches Trainingsprogramm. Der Einzelne benötigt dazu eine differenzierte Analyse seines motorischen Profils. Mit Hilfe von fünf Testfragen lässt sich bei Trainingsangeboten die Spreu vom Weizen trennen.

Fünf Testfragen an ein Trainings-Angebot:

  • 1. Basiert das Training auf einer Diagnostik, die wissenschaftlichen Kriterien (Physik + Medizin) entspricht?
  • 2. Werden alle fünf Fitnesskomponenten berücksichtigt?
  • 3. Werden die Ziele präzise formuliert und im Verlauf objektiv gemessen?
  • 4. Gibt es Untersuchungen zu Wirkungen und Nebenwirkungen der Methode?
  • 5. Gibt es genaue Angaben zum "Wie?", "Wie viel?", "Wie oft?" und "Wie lange?"

So ergibt sich aus der Beobachtung des Älterwerdens die Zielsetzung für eine lebenslange Fitnesskampagne. Ohne diese individuell sorgfältig zu planende und lebensbegleitende Fitnesskampagne sind wir schneller alt als es nötig ist.