Mit zunehmendem Alter häufen sich Stürze in ganz alltäglichen Situationen und können gerade in Kombination mit Osteoporose zu schweren Frakturen führen. Besonders häufig betroffen sind dabei Menschen mit der Einschränkung von geistigen und körperlichen Fähigkeiten.

Auch ohne gesundheitliche Probleme stürzen 30 Prozent der Menschen über 65 Jahren ein oder mehrmals pro Jahr. Fünf Prozent der Stürze führen zu Frakturen, unter denen die hüftnahen Oberschenkelfrakturen die schwerwiegendsten sind. Trotz einer hervorragenden Unfallchirurgie in unserem Land bleiben diese Ereignisse oft nicht folgenlos. So erhöhen sich nach einem Oberschenkelhalsbruch Sterblichkeit und Pflegeheimversorgung jeweils um 20 Prozent, und höchstens die Hälfte der Betroffenen erreicht wieder die frühere Mobilität. Gibt es eine wirkungsvolle Vorbeugung, auch bei alten oder dementen Patienten? Und: Kann man die Sturzgefahr erkennen? Wer ist besonders gefährdet?

Die wissenschaftliche Sturzforschung hat gezeigt, dass Stürze Ausdruck einer verschlechterten Gehfähigkeit und Balance sind, und in der Regel nicht Folge einer einzelnen Erkrankung, sondern Ergebnis einer langjährigen Entwicklung. Schon ab den mittleren Lebensjahren verschlechtern sich ganz allmählich Muskelleistung, Balance und viele andere Komponenten des komplizierten Systems, das uns befähigt, uns sicher auf zwei Beinen durch die Welt zu bewegen. Diese Entwicklung ist kein unabwendbares Schicksal, sondern wesentlich mitbestimmt durch mangelnde Bewegung und chronische Unterforderung des Balancesystems. Balance ist trainierbar, jedoch nicht in ein paar Wochen mit einigen Therapieeinheiten, sondern nur langfristig mit konsequentem Training. Wer braucht dieses Balancetraining besonders? Die Sturzforschung hat herausgefunden, dass Menschen, die häufig stürzen, sich durch ganz bestimmte Merkmale von denen unterscheiden, die in hohem Alter genauso wenig Sturz gefährdet sind wie weit jüngere. Dabei ist die Anhäufung verschiedener Risikofaktoren der entscheidende Punkt: je mehr Risikofaktoren, umso größer die Sturzgefahr.

Ganz oben auf der Liste der Sturzrisikofaktoren steht die verminderte Muskelleistung. Mit diesem Begriff meint eine wissenschaftlich korrekte Sprache das Produkt aus Kraft und Geschwindigkeit. Eine Bewegung, die Stürze verhindern will, muss gleichzeitig kräftig, schnell und genau auf die Situation abgestimmt sein. Mit dem einfachen Aufstehtest lassen sich Sturzpatienten von den Menschen ohne Sturzgefahr trennen. Der Test besteht darin, fünfmal so schnell wie möglich aus einem Stuhl üblicher Höhe (46 cm) aufzustehen, ohne dabei die Hände zu benützen. Man setzt sich startbereit vorne auf den Sitz, schon leicht vorgebeugt, die Arme vor der Brust gekreuzt, und steht dann ganz schnell fünfmal nacheinander ganz auf. Aber dabei nicht schummeln, indem man sich nur zu einer halbgebückten Stellung aufrichtet! Die Zeit für fünf komplette Aufrichtungen sollte unter 10 Sekunden liegen.

Der zweitwichtigste Sturzrisikofaktor ist die Balance zur Seite, der geeignete Test ist der Tandemstand. Dabei muss man mit beiden Füßen genau hintereinander auf einer Linie stehen können, 10 Sekunden lang. Der Test prüft die Fähigkeit, die seitliche Balance zu halten. Sie ist besonders wichtig, denn die folgenschwersten Stürze gehen zur Seite hin und führen über den Aufprall im Hüftbereich zu den gefürchteten Schenkelhalsfrakturen.

Wer schon einen dieser beiden Tests nicht schafft, hat ein erhöhtes Risiko zu stürzen und sich dabei etwas zu brechen, wer in beiden Untersuchungen auffällig ist, hat ein potenziertes Risiko.

Der dritte Risikofaktor ist ein eingeschränktes Sehvermögen. Hier ist auch an Nacht, Beleuchtungsverhältnisse und Dämmerung zu denken. Operation eines grauen Stars oder Laserbehandlungen der Netzhautschäden bei Diabetes mellitus stehen als operative Therapien zur Verfügung. Aber manchmal genügt bereits die banale Maßnahme, eine Brille neu anzupassen!

Der vierte Risikofaktor liegt in den Medikamenten und ihrem komplizierten Wechselspiel mit dem Zentralnervensystem. Am meisten gefährdet sind Menschen, die vier oder mehr verschiedene ärztlich verordnete Medikamente einnehmen müssen (müssen!), ganz egal um welche Medikamente es sich handelt.

Diese Multimedikation ist allgemeiner Ausdruck eines eingeschränkten Gesundheitszustandes. Gerade die Medikamente, die unruhige Menschen mit Demenz einnehmen müssen, wie z.B. Benzodiazepine, Neuroleptica und Antidepressiva, tragen besonders zur Sturzgefahr bei. Man kann die Medikamente natürlich nicht einfach weglassen, sondern muss ihre Indikation, Dosierung und zeitliche Verteilung durch den behandelnden Arzt überprüfen und vielleicht optimieren lassen.

Der fünfte Punkt in der Liste der Sturzrisikofaktoren ist die eingeschränkte geistige Leistungsfähigkeit, gerade in Kombination mit motorischer Unruhe und Medikamenten. Demente Menschen begeben sich leichter in riskante Situationen, die sie motorisch nicht mehr sicher beherrschen.

Es kommt aber letztlich auf die Kombination der Risikofaktoren an, und gegen die kombinierte Gefahr wirkt auch nur ein umfassendes ganzheitliches Konzept mit multifaktoriellem Ansatz.

Eine erste Maßnahme, die sofort die gefährlichste Sturzfolge, die hüftnahe Oberschenkelfraktur, verhindern kann, ist die Versorgung mit einem Hüftprotektor. Der Hüftprotektor wurde von dem dänischen Unfallchirurgen Prof. Lauritzen entwickelt. Es handelt sich um zwei Plastikschalen, die durch eine Baumwollhose exakt in der richtigen Lage über dem großen Rollhügel seitlich am Oberschenkel fixiert werden. Die meisten Hüftfrakturen entstehen durch einen Aufprall in diesem Bereich. Der Hüftprotektor dämpft die Energie und leitet sie um in das Weichteilgewebe, wo kein gravierender Schaden entsteht. Dieser Typ von Hüftprotektor ist in seiner Wirksamkeit wissenschaftlich vielfach belegt. Wichtig ist aber, dass er – auch zuhause – getragen wird.

Die Sturzgefahr kann deutlich vermindert werden, wenn Muskelleistung und Balance verbessert werden, z.B. durch fernöstliche Bewegungs-Methoden wie Tai-Chi oder Qi-Gong. Wir haben aufbauend auf Tai Chi-Übungen und eigenen Forschungsergebnissen ein spezielles Trainingsprogramm entwickelt, das geeignet ist, Balance und Muskelfunktion zu verbessern und so die Sturzgefahr zu vermindern. Es dauert vielleicht manchmal etwas länger und verlangt von den Therapeut/Innen mehr Geduld und Fachkenntnis, aber es ist möglich, dass auch alte und/oder mental retardierte Patienten sich gezielt zur Sturzprophylaxe bewegen.

Alter und/oder Demenz allein dürfen nie ein Grund sein, Menschen von der Therapie oder Rehabilitationsmaßnahmen auszugrenzen. In Zweifelsfällen sollte eine Beratung mit einem Geriater erfolgen, um die Rehabilitations- fähigkeit zu beurteilen.